Popping Pillows ep.02 Whitewater
„Just follow us“ ruft uns Jon zu, als wir aus dem Lift aussteigen. Alles klar, denken wir und machen kurz noch die Schnallen unserer Skischuhe zu. Als wir mit unseren Blicken wieder hochkommen, sehen wir nur noch Staubwolken und die Jungs, wie sie in das erste Waldstück hineinschießen. Okay, also nichts wie hinterher. Die Sicht ist durch den aufgewirbelten Schnee der Vordermänner stark eingeschränkt, das Tempo dafür übertrieben hoch. Doch eines ist klar: wenn wir die nächsten Tage nicht alleine das Gebiet erkunden wollen, müssen wir dranbleiben. Wir rasen also in gefühlter James Bond Manier zu sechst durch den Wald. Kurz links geschaut, sieht man Ian zwischen den Bäumen hindurch, wie er mit einem 360er über das nächste Cliff jagt. Rechts sendet sich währenddessen Jon mit einem stylischen Shifty 15 Meter über ein Pillow, das sich ihm gerade in den Weg gelegt hatte. Wir sind währenddessen nur damit beschäftigt, die müden Augen weit genug aufzubekommen, um nicht im nächsten Baum hängen zu bleiben und die Jungs nicht zu verlieren.
Unten am Lift ist schnell klar: der Tag wird anstrengend, scheinbar läuft das so, an einem klassischen Whitewater„Powday“. Im Lift noch die Daune im Rucksack verstauen und auf zu Runde zwei.
Egal wo wir nach dem Skifahren ankamen, die ersten Stunden sahen im Grunde immer gleich aus und wurden schon nach ein paar Tagen zur Routine. Zuallererst: Rechner aufbauen, Steckdose suchen und alle Speicherkarten in einer Reihe vor dem SD-Karten Slot positionieren. Dann, Arbeitsteilung: Einer kümmert sich ums leibliche Wohl, in welcher Form auch immer, der andere fängt an das Footage vom Tag zu sortieren. Während die riesigen Dateien der Drohne kopierten, blieb meistens Zeit für eine schnelle Dusche.
Wir sind bei Sean zu Hause, beziehungsweise in dem Zuhause, auf das Sean gewissermaßen aufpasst. „House Sitting“ nennt sich das Ganze und ist in Kanada sehr beliebt. Sean kommt ursprünglich aus England, wohnt aber seit zwei Jahren mit seiner Freundin Veronika in Nelson. Das kanadische Blockhaus, in dem sie wohnen, gehört Seans Chef, der sich für ein halbes Jahr eine Auszeit gönnt und durch die Karibik segelt. Zu zweit haben sie auf den geschätzten 400 Quadratmeter also reichlich Platz, um uns zwei verplante Powderjunkies für einige Tage zu beherbergen. Für einen Saisonpass fotografiert Sean gelegentlich für das Resort und ist somit bestens connected mit den Locals der Stadt. Den verrückten ersten Tag mit Jon, Ian, Dale und all den anderen haben wir also ihm zu verdanken. Während wir unser Abendessen verdrücken, machen wir den Schlachtplan für den nächsten Tag. Eine Kickersession und ein paar Pillowlines stehen auf dem Programm. Draußen fallen mal wieder die Flocken, wie könnte es auch anders sein, im Powderparadis British Columbia.
“3, 2, 1, dropping” Ian nimmt Anlauf und segelt mit einem wunderschönen Backflip durch die Lüfte. Die Landung stellt er perfekt hin und cruist noch einige Schwünge durch den tiefen Powder. Nicht schlecht als „first-hit“ denken wir uns und machen uns selbst auf den Weg zum Anlauf des perfekt geshapten Backcountry Kickers, den die Jungs am Vortag kurz vor Finsternis noch geschaufelt haben. Wir spinnen und flippen als gäbe es kein Morgen mehr. Die weiche Landung lässt es aber auch zu, in jeder erdenklichen Körperlage im Schnee einzuschlagen, ohne auch nur einen blauen Fleck zu kassieren. Erst als wir das Landing zur glatten Piste planiert hatten, ziehen wir die Felle auf und marschieren abseits der Boundary Line durch knietiefen, fluffigen Pulver.
Plötzlich macht Jon, der uns durch den dichten Nebel führt, Halt. Mittagspause ist angesagt. Einer nach dem anderen kramt sein kühles Blondes aus dem Rucksack und packt den Burger vom Vortag aus. Jon schleppte sogar seine Musikbox mit und versorgt uns mit stilechten Gitarrensounds. Der Wind bläst uns dabei den Schnee mit aller Gewalt ins Gesicht, aber das stört scheinbar niemanden. In aller Ruhe verspeist jeder seine Mahlzeit und macht sich bereit für den Nachtisch: Pillow Lines stehen auf der Desertkarte. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich jeder seine Line ausgesucht und einer nach dem anderen fliegt mit Mach 3 über die Pillows unter ihm. Nachdem jeder den Run des anderen mehr gefeiert hatte als seinen Eigenen, schießen wir in einer wilden Wolke hinunter in Richtung Pub. Was für ein Tag.
Nach vier Tagen in Whitewater sind wir ziemlich geschafft und haben einen Muskelkater, dass schon der Weg in die Dusche zur Herausforderung wird. Wir waren wirklich beeindruckt von dem hohen skifahrerischen Level, das die Jungs aus Nelson an den Tag gelegt haben. Das Beste daran ist allerdings die unendliche Motivation, die sie quer über den ganzen Berg verstreuen. Keiner kümmert sich um Sponsoren, seinen YouTube Kanal oder wie viele Likes er mit dem letzten Faketurn bekommen hat. Jeder hat nur ein Ziel: so viele Powderturns wie möglich in einer Saison unterzubringen. Was für ein Leben.